Bio erreicht die Discounter

Bio erreicht die Discounter

Martin Schiller, 26.03.2024

Der Bio-Umsatz ist im letzten Jahr deutlich angestiegen. Dies sind erfreuliche Nachrichten. Besonders profitieren von der höheren Nachfrage nach Bio-Produkten die grossen Lebensmittelhändler und auch Discounter, die nun endgültig auf den Bio-Zug aufgesprungen sind. Ihr Versprechen: Bio, fair, nachhaltig – und das zum tiefsten Preis. Kann das gutgehen?

2023 feierte Coop das 30-jährige Bio-Jubiläum. Und feiert sich mit grosser Brust als «klare Nummer 1 in der Schweiz, sowohl in Sachen Umsatz als auch in Anzahl Produkten». Im Jubiläumsjahr stieg der Umsatz um satte 9 Prozent in den ersten neun Monaten. Auch aus Deutschland ist Ähnliches zu vernehmen. 2023 ist der Umsatz mit Bio-Produkten um 5 Prozent gewachsen. Dies zwar zum Teil inflationsbedingt, aber auch die Anbauflächen sind deutlich gestiegen.

Grundsätzlich stellen wir uns immer auf den Standpunkt, dass dies eigentlich eine gute Nachricht ist, wenn biologische Lebensmittel an Marktanteil gewinnen, denn wir glauben an den biologischen Weg. Aber die Bio-Bewegung war immer eine Art Gegenentwurf zum konventionellen Landbau und irgendwie auch eine alternativer Wirtschafts- und Lebensentwurf. Der Bio-Fachhandel, die «Biolädeli», sind im letzten Jahr jedoch hinter die Zahlen von 2019 gefallen. Es scheint, als dass die umsatzstarken Corona-Jahre ein Strohfeuer waren für den Einzelhandel. Die Biofachläden, die für ökologische und soziale Prinzipien stehen, stehen in direkter Konkurrenz zum vorherrschenden Marktsystem von niedrigpreisig und bequemem Einkaufen im Grosshandel. Steigende Energiepreise, hohe Mieten, Krankenkassenprämien belasten das Haushaltsbudget mehr als in den letzten Jahren. Hinzu kommt eine Inflationsrate, die wir uns nicht mehr gewöhnt sind und wir erleben an diversen Brandherden auf der Welt gerade hautnah Weltgeschichte, um es positiv auszudrücken. Entsprechend preissensibel kaufen Kund:innen ein und greifen verstärkt zu (Bio)Eigenmarken der Grosshändler. Diese versprechen ja auch «Bio-Qualität zum fairen Preis». Unserer Einschätzung nach führt das in Zukunft zu einem Dilemma im Bio-Segment.

Im letzten Herbst haben wir in unserem Newsletter geschrieben, dass es für den biologischen Weg alle braucht, den Fachhandel, den Grosshandel aber auch die Discounter:

«Wir von Terra Verde glauben aus fester Überzeugung an Bio und sind der Meinung, dass der biologische Weg der Richtige ist. Und um den Markt für Bio-Produkte zu ebenen, brauchen wir tatsächlich alle: Den Fachhandel, die Grosshändler aber auch die Discounter. Denn nur wenn alle auf biologische Standards setzen, kann der Anteil verkaufter biologischer Produkte wachsen. Aber: Dass Bio-Produkte nie so günstig sein können, wie konventionelle Produkte, sollte eigentlich klar sein. Es steckt mehr Arbeit in biologischen Lebensmitteln und es wird nicht «jede Seich» mitgemacht in Bio. Die erlaubten Hilfsmittel in der Verarbeitung und auf dem Feld sind - zum Glück - stark eingeschränkt, dafür sind aber auch die Erträge geringer. Unter dem Strich ist es plausibel, dass ein Bio-Produkt mehr kostet.»

Anliegen hinsichtlich sozialer Kriterien oder Ziele zu Erhalt und Förderung der Biodiversität unverzichtbarer Bestanteil biologischer Produktion. Billigpreise sind jedoch selten mit solchen Anliegen vereinbar.

Die Frage nach dem fairen Preis

Wir leben in einer von Marketing und Werbung geprägten Konsumgesellschaft. Unternehmen, Marken und Labels müssen eine möglichst positive Ausstrahlung haben. Gerade mit Bio-Produkten wird oft versucht dies zu vermitteln und biologische Produkte werden mit möglichst viel Positivem aufgeladen: Mit lachenden Produzent:innen, schönen Naturbildern, glücklichen Hühnern, die ihre Eier direkt beim Grossverteiler in den Karton legen und einer Biodiversität, die dank Bio gerettet wird. Und all das nun auch zu einem unschlagbar günstigen Preis. Seit neuestem sogar im Discounter, wo ab jetzt also auch mit einem guten Gewissen eingekauft werde kann. Oder?

Unsere Interpretation ist, dass die Marketingabteilungen der Discounter und Grossverteiler Bio eher als Marke statt Philosophie verstehen und diese schamlos vermarkten. Bio scheint etwas zu sein, womit man sich profilieren, Geld verdienen und wohl auch ein wenig greenwashen kann, so unser Eindruck. Doch mit dem reinen Fokus auf den günstigsten Biopreis zwingt der Markt Produzent:innen zu einem Ausbau und auch einer Methodik, unter denen Ökosysteme nicht mehr funktionieren. Dieser Fokus ist mit Bio, in unseren Augen, wenig kompatibel. Aus diesen Gründen setzen wir auch auf die Bio- und Claro-Läden als Partner. Hier ist die gemeinsame Wertebasis gewiss und muss nicht diskutiert werden.

In der Pionierphase des Biolandbaus wurden Produkte angeboten, Lieferketten etabliert und ein Lebensgefühl vermittelt, die der herrschenden Wahrnehmung eines anonymen Massenmarktes gegenüberstanden. Doch dieses Lebensgefühl droht verloren zu gehen. Im Durchschnitt geben wir in der Schweiz momentan 6.5 Prozent unseres Gehalts für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke aus. Ein historischer und weltweiter Tiefstwert. In einem Budget einer Haushaltschule wurden um 1950 in der Schweiz noch gut 50 Prozent des Budgets für Lebensmittel berechnet. Wir sagen nicht, wir müssen dorthin zurück. Aber etwas mehr dürfte es schon wieder werden, damit alle einen gerechten Teil des Kuchens bekommen und auch noch etwas übrig bleibt für Themen wie CO2-Fussabdruck, soziale Gerechtigkeit der Erntehelfer:innen oder Biodiversität.

Die Bauern sind auf der Strasse

An dieser Stelle möchten wir einen kurzen Bogen schlagen. In den letzten Wochen und Monaten hat es in ganz Europa Bauern auf die Strasse getrieben, um für ihre Anliegen zu kämpfen. Ob wir jetzt im Einzelfall immer gleicher Meinung sind, sei dahingestellt.

Der Kern des Problems liegt unserer Meinung nach darin, dass wir den Lebensmitteln nicht den Wert zuschreiben, den sie eigentlich verdient hätten. Und am Anfang der Kette stehen die Landwirt:innen, die Erntehelfer:innen, die für ihr harte Arbeit praktisch nichts bekommen. Gerade in Zeiten von hoher Inflation und den Unruhen an mehreren Brandherden auf der Welt, möchten sich die grossen Handelsketten scheinbar profilieren, indem sie den niedrigsten Preis anbieten können. Dieser absolute Preiskampf war bis vor kurzer Zeit vor allem im konventionellen Bereich extrem. Bio-Produzenten hatten bislang einen höheren Preis bekommen oder konnten sich zumindest dem absoluten Preiskampf um jeden Rappen ein wenig entziehen. Doch dies scheint sich gerade mit einer unglaublichen Geschwindigkeit zu ändern.

Wir verstehen durchaus, dass mit grösseren Mengen gewisse Prozesse effizienter gemacht und so ein paar Rappen beim Transport gespart werden können. Doch solche effizienzbedingten Einsparungen sind nur bis zu einem gewissen Grad möglich. Mit unseren Produkten aus Italien sind wir noch ziemlich nah an der Quelle und können daher in etwa abschätzen, wo der Preis für Rohstoffe liegt, wenn nicht bei der Qualität, den Anbaumethoden oder bei sozialen Faktoren «optimiert» wird.

Am Anfang der Bio-Bewegung war es ein Anliegen, die Lieferketten und Absatzwege neu zu denken. Bei einem reinen Fokus auf Absatzmengen und einen höheren Marktanteil, wie es im Bio momentan der Fall ist, werden wichtige Prinzipien über Bord geworfen. Und dass dieses System selbst im Konventionellen nicht funktioniert, beweisen aktuell die Proteste in ganz Europa. Wieso sollte also Bio den gleichen Weg einschlagen, fragen wir uns?

Wie kann man sich als Bio-Marke von solchen Entwicklungen abgrenzen?

Partnerschaften pflegen

Wir arbeiten mit knapp 20 Lebensmittelproduzent:innen aus Italien zusammen. In vielen Fällen seit über 25 Jahren mit den gleichen Leuten und mit den gleichen Familien. In einigen Fällen sind es Landwirt:innen, die selber produzieren und abpacken, in anderen Fällen werden die Produkte verarbeitet und die Rohstoffe zugekauft. Bei den einen sind wir der grösste Kunde, bei den anderen eher ein kleinerer. Aber eines ist immer klar: Wir verhandeln auf Augenhöhe, reden miteinander und drücken die Preise nicht. Wir besuchen unsere Produzent:innen regelmässig vor Ort, dürfen bei Pflanzung oder Ernte dabei sein und werden durch ihre Fabriken geführt. Herausforderungen werden gemeinsam besprochen und dann suchen wir auch gemeinsam nach Lösungen.

Zur Veranschaulichung: Wir könnten unseren Risotto nach schlechten Ernten, die klimawandelbedingt immer häufiger vorkommen, auch in grossen und günstigen Mengen an der Börse statt bei unserem Reisproduzenten einkaufen. Auf diese Weise hätten wir immer den günstigsten Preis. Genau solche Praktiken kommen für uns aber nicht in Frage. Wir verstehen unsere Zusammenarbeiten partnerschaftlich, und das bedeutet, dass wir eben auch bei schlechten Ernten zu unseren Produzent:innen halten und nicht zum Anbieter mit dem günstigsten Preis wechseln oder versuchen, unsere Partner im Preis zu drücken. Ein anderes aktuelles Beispiel: Die Olivenernten im vergangenen Jahr waren europaweit schlecht bis sehr schlecht. Auch bei unseren Olivenbäuern:innen. Wir konnten unsere Preise jedoch einigermassen halten, indem wir gemeinsam eine Lösung fanden: Wir haben die ganze Ernte vorfinanziert und konnten so den Preis halten. Im Gegenzug musste unser Partner vor Ort keinen Kredit aufnehmen und konnte Zinskosten sparen, die in Italien inflationsbedingt inzwischen auf deutlich über 5 Prozent gestiegen sind. Solche Abmachungen sind Ausdruck von Vertrauen, das auf einer langjährigen Partnerschaft beruht.

Wir bleiben unseren Produzent:innen treu, gehen miteinander durch die Jahre – durch gute und weniger gute. So baut sich Vertrauen auf und so können wir auch mitgestalten, wohin der Weg geht.

In Lieferketten denken

Und trotzdem, auch wir haben noch Luft nach oben. Es gibt immer wieder Themen, an denen gearbeitet werden muss. Uns sind beispielsweise transparente, faire Lieferketten ein grosses Anliegen. Wenn unsere Produzent:innen selber Rohstoffe einkaufen, werden die Lieferketten länger. Und bei der Fragestellung, ob deren Sublieferanten ebenfalls «sauber» arbeiten, müssen wir uns meist auf das Wort unserer Partner:innen verlassen. Wir sind aber bestrebt, dass wir in naher Zukunft auch in dieser Hinsicht noch einen Schritt weitergehen können und Lösungen finden, wie unsere Lieferketten vollends transparent gemacht werden können.

Je weniger Zutaten ein Produkt hat, desto einfacher ist das. Bei Produkten wie Pasta, Olivenöl und Balsamico ist das in unserem Fall relativ einfach. Bei unserer IRIS-Pasta sind wir beispielsweise Teil der Bauern-Kooperative, welche einen garantierten Mindestpreis für das Mehl der Hartweizen bekommt. Wir haben garantierte Lieferketten, wissen, wie und wo der Hartweizen angebaut wird und welche Massnahmen für die Biodiversitätsförderung und Einhaltung sozialer Kriterien ergriffen werden. IRIS ist zudem eine der wenigen Firmen in Italien, die sich einer Zertifizierung der Gemeinwohlökonomie unterzogen hat. Von unserem Olivenöl kennen wir die Lieferant:innen und haben die Olivenhaine der Bäuerinnen bereits mehrfach besucht. Und für unseren Balsamico wird ein grosser Teil der verarbeiteten Trauben von unserem Hersteller, Casa del Balsamico, selbst angebaut. Dort dürfen wir jederzeit und unangekündigt vorbeischauen.

Bei Produkten wie einem Tomatensugo mit Gemüse wird es schon ein wenig komplexer. Einerseits, weil Gemüse als einjährige Kulturen jedes Jahr auf anderen Felder wächst (Stichwort Fruchtfolgen). Andererseits weil Tomaten eines der undurchsichtigsten Produkte überhaupt sind, die wir kennen. (An dieser Stelle sei das Buch «Das Tomatenimperium: Ein Lieblingsprodukt erklärt den globalen Kapitalismus» von Jean-Baptiste Malet empfohlen). Bei den Tomaten sind wir so nah dran wie möglich, wir dürfen ebenfalls auf Felder gehen und mit den Landwirt:innen reden. Hier braucht es aber noch mehr Transparenz. Unangekündigte Zertifizierungen vor Ort für soziale Zwecke oder Biodiversitätsfördermassnahmen und Zertifizierungen wären wünschenswert. Ein Ziel, welches wir uns auch gesteckt haben.

Ein wichtiger Teil der Lieferkette liegt auch in der Schweiz. Einerseits beim Handel andererseits bei den Konsumen:tinnen. Beide tragen Verantwortung. Bei Preisverhandlungen sollte der Handel nicht primär die eigenen Taschen füllen, sondern für faire Preise entlang der ganzen Lieferkette sorgen. Bei Bio-Produkten geht die Verantwortung in unseren Augen sogar noch weiter. Heute wird das Sortiment bei den Grosshändlern so gestaltet, dass auch im Dezember Bio-Heidelbeeren oder -Erdbeeren angeboten werden – Tomaten sogar über das ganze Jahr. Biologische Produkte kennen praktisch keine Saisonalität mehr. Das verzerrt die Grundidee von Bio und die ständige Verfügbarkeit im Laden bedingt im Umkehrschluss die Austauschbarkeit beim Lieferanten – nachhaltige Lieferketten wohl eher Fehlanzeige.

Konsument:innen entscheiden mit dem, was sie essen, jeden Tag mit, wie die Lieferketten aussehen. Welchen Wert wir Lebensmitteln zuschreiben und ob wir Ausbeutung von Menschen auf den Feldern, den Fabriken oder der Natur in Kauf nehmen oder nicht, entscheidet sich nicht zuletzt auch im Einkaufswagen. Oder wie es ein Zitat aus dem Dokumentarfilm «Ernte teilen - Anders Ackern für die Zukunft» schön zusammenfässt:

«Landwirte werden oft verschrien als Umweltzerstörer und als diejenigen bezeichnet, welche alles kaputt machen. Aber essen wollen alle. [...] Es ist sehr wohl so, dass die Landwirtschaft einen grossen Teil unseres Fussabdruckes verursacht. Aber essen müssen wir. Und wir entscheiden auch täglich, welche Nahrungsmittel wir zu uns nehmen.»

Wir müssen also immer in der ganzen Lieferkette denken. Unser Wunsch bei Terra Verde ist es, künftig zertifizierte und garantierte Lieferketten ausweisen zu können, denn das ist für uns ein Qualitätsmerkmal.

Fokus auf Qualität

Stichwort Qualität. Bei einem Produkt wie unserem Balsamico ist es relativ einfach, unseren Kund:innen den Mehrwert des «teureren Bioprodukts» aufzuzeigen, denn er ist schlicht einfach besser. Wer uns nicht glaubt, ist jederzeit willkommen bei uns für eine Degustation! 😊 Auch beim Olivenöl können Unterschiede bei der Qualität bspw. in Bezug auf die Erntemethoden noch erklärt werden. Bei Produkten wie Pasta, Tomatenpassata oder Risottoreis wird es jedoch zunehmend schwieriger. Was natürlich nicht heissen soll, dass auch bei diesen Produkten Qualitätsunterschiede im Geschmack möglich sind. Doch hier zählt der billigste Preis einfach oft mehr als andere Faktoren wie Anbaustandards, Erhalt der Biodiversität, Auflagen bei der Verarbeitung, die Bio gewährleistet. Bei solchen Produkten ist daher umso mehr Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit nötig. Denn selbst wir müssen offen zugeben: Wenn in einem Regal dasselbe Nicht-Bio-Produkt deutlich günstiger ist als das andere, braucht es Überzeugung (und etwas Wissen), um trotzdem das teurere zu kaufen. Doch als Marke Terra Verde wollen wir genau für diese Überzeugung stehen. Und wir sind dankbar für unsere Kundschaft und stolz, dass sie diese mit uns teilen.