Aktuell ernteriif: Kirschen

Aktuell ernteriif: Kirschen

Barbara Michel, 08.06.2023

Sommer ist, wenn Kirschen in den Bäumen hängen. Wie Kirschen aber aussehen und wie sie angebaut werden, hat sich in kurzer Zeit stark verändert. Der moderne Anbau für Tafelkirschen findet unter Dächern und Netzen statt. Die einst stolzen Hochstammbäume haben eine mehr als unsicher Zukunft. Die Leichtigkeit der Kirschensaison hat ihren Preis - harte Arbeit und hohes Risiko.

Wenn in den Gemeinden des Baselbiets die Kirschbäume blühen, dann sind die Fensterplätze in den Zügen zwischen Olten und Basel gut gewählt. Nicht wenige reisen für das Blütenspektakel in der Zeit um Mitte April herum in die für ihre Kirschbäume bekannten Dörfer wie Nuglar oder St. Pantaleon. Die weitläufigen verstreuten Hochstammbäume um die beiden Ortschaften geben eine gute Vorstellung davon, wie es vor wenigen Jahrzehnten noch in der ganzen Region ausgesehen hat. Und wie viele Kirschen, alleine in der Nordwestschweiz einst angebaut wurden. Die Idylle mag noch zu finden sein, trotzdem sind die Probleme der Hochstammkultur nur zu gut bekannt.

«Die Stimmung unter einigen, die Hochstammkirschen haben, könnte man als depressiv beschreiben», sagt Andreas Häseli, Obstbauberater am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Frick AG. Landschaftlich scheine das Erscheinungsbild der Hochstammkultur mancherorts intakt. Fahre man aber in den Sommermonaten durch die Gegend, würden die von der Schrottschusskrankheit durchlöcherten, gelblichen Blätter und die oft nur rudimentär geschnittenen und gepflegten Bäume deutlich auffallen. Der Zustand vieler Bäume sei schlecht, wirtschaftlich säen viele Landwirtinnen und Landwirte keine Perspektive mehr mit den Kirschen im Freiland. Der Hochstammbestand nehme wegen Schwierigkeiten mit Schädlingen wie der Kirschessigfliege (KEF), aber auch wegen struktureller Probleme weiter ab. «Früher hat man sich eben auf den Bäumen getroffen, da sind dann zur Ernte alle zusammengekommen», erklärt Andreas Häseli. Dem Anbau fehlen die Hände und die viele Arbeit für den Erhalt der Bäume würde sich kaum mehr lohnen.

Eine kurze Geschichte der Kirsche

In der Region, aber auch in anderen Gebieten wie der Innerschweiz, sind Kirschbäume schon seit vielen Jahrhunderten beheimatet. Bis ins 19. Jahrhundert waren sie aber meistens nur in kleinen Obstgärten anzutreffen, wo die Früchte der Selbstversorgung dienten. Zur Zeit der aufkommenden Industrialisierung dehnte sich der sogenannte Streuobstanbau in der offenen Kulturlandschaft aus. Luftaufnahmen Baselbieter Gemeinden aus den 1950er Jahren zeigen eindrückliche Landschaften voller Bäume,

die auf den Wiesen und Felden stehen. Zu Beginn der Hochstammkultur wurden hauptsächlich kleine, zuckerreiche Kirschen angebaut, die zu Schnaps und Dörrobst verarbeitet wurden. Die Hochstammbäume in Region Zug dienen auch heute noch diesem Zweck. Mit der Zuger und Rigi Kirsch AOP gibt es seit 2013 sogar eine geschützte Herkunftsbezeichnung für die Brennkirschen aus diesem Gebiet. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich der Kirschenanbau in der Nordwestschweiz aber in eine andere Richtung. Zunehmend wurden Tafelkirschen nachgefragt. Der Kirschenanbau wurde wirtschaftlich sehr bedeutsam und die Hochstammbestände dehnten sich laufend aus. Baselbieter Kirschen wurden mit der Eisenbahn in die europäischen Metropolen exportiert. Von Liestal bis London in vollen Waggons. In den 1950er Jahren förderte die Eidgenössische Alkoholverwaltung schweizweit das Fällen von Kirschbäumen, was den allmählichen Niedergang der Hochstammkultur beschleunigte.

Gut eingepackt

Die Familie Wirth aus Olsberg im Fricktal baut seit 40 Jahren Tafelkirschen an. Früher ebenfalls mit Hochstammbäumen, später dann mit sogenannten Spindelbäumen in Niederstammanlagen. Solche haben eine Lebensdauer von 15-20 Jahren, was der intensiven Bewirtschaftung und der engen Platzverhältnisse von rund sieben Quadratmeter pro Baum geschuldet ist. Heute bewirtschaftet der Biohof Wirth auf einer Hektare Tafelkirschen. Seit sieben Jahren führt die Familie den Hof als Biobetrieb. Davor hatten sie ihre Niederstammanlagen auf drei Hektaren. «Wir haben reduziert, weil die alten Anlagen nicht biotauglich waren», erklärt Bruno Wirth. Insbesondere die fehlende Überdachung und Volleinnetzung der Anlage sowie Sorten wie Adriana oder Oktavia hätten den veränderten Bedingungen nicht mehr genügt. Und gerade bei einer Kultur wie Tafelkirschen findet Bruno Wirth: «Grosse Flächen, grosse Probleme». Aber was meint er damit? Damit die Tafelkirschen den hohen Anforderungen des Marktes an Aussehen und Fruchtfleischfestigkeit genügen, müssen Störfaktoren möglichst geringgehalten werden. Denn der Tafelkirschenanbau ist eine sensible Angelegenheit. Schlüsselprobleme im Niederstammanbau

sind Pilzerkrankungen wie Monilia aber auch Schädlinge wie die Schwarze Kirschenblattlaus. Für den Biobauer bringt der Verzicht auf Fungizide und Pestizide, die im konventionellen Anbau zugelassen sind, einen gewissen Mehraufwand mit sich. Was den Pflanzenschutz angeht, kommt er mit sehr wenigen Mitteln wie Schwefel, Tonerde oder Backpulver aus. Wie viel wichtiger ist aber der Witterungsschutz. Und damit eine komplett überdachte Anlage, die ein Hagelnetz, ein Seitennetz sowie eine Folie beinhaltet. Die Anlage zu schliessen, bringt viel Handarbeit mit sich. Die aber unerlässlich ist. Heute müssen Kirschen grossfrüchtig und möglichst festfleischig sein. Die Kirschensorten mit diesen Eigenschaften neigen bei Regen aber zum Platzen. Kann das Dach über den Niederstammkirschen geschlossen werden, hält das auch die Feuchtigkeit aussen vor, die eben den Moniliapilz begünstigt. Bruno Wirth muss die Anlage vor der Blüte sowie während der Ernte schliessen, damit keine Schäden durch die Witterung und durch die Feuchtigkeit auftreten. Die feinmaschigen Seitennetze sperren Schädlinge wie die erwähnte Kirschessigfliege, die Kirschenfliege aber auch Vögel und andere Wildtiere aus. Die Aufwände sind gross, um die Kirschen ins Trockene zu bringen. Die Bewirtschaftung einer Hektare Niederstammkirschen kostet jährlich gegen 70‘000 Franken. Der Anbau von Tafelkirschen ist risikoreich, nicht zuletzt, weil in den letzten Jahren auch klimatisch bedingte Extremwetterereignisse und Fröste zugenommen haben.


Und was macht und will der Markt?

Biokirschen wurden ab Mitte der 2010er Jahre stark nachgefragt. Das hat zu einem Ausbau der Anbaufläche geführt. Das hat sich aber relativ schnell wieder gelegt. Für Bruno Wirth ist klar, dass die bestehende Anlage weitergeführt wird. Aber vergrössern würde er derzeit nicht. «Kirschen sind ein absolutes Premiumprodukt geworden, dafür braucht es keine Mengen», sagt er. Sind die Schweizer Kirschen ab Mitte Juni reif, ist die Kundschaft meist schon vorher mit Importware auf den Geschmack gekommen. Und wenn sie erst spät ab Juli reif sind und der Zeitpunkt mit dem Schulferienbeginn zusammenfalle, bleiben die Läden auf den Kirschen sitzen und dann kann der Preis schnell fallen. Die Produzierenden haben dabei wenig Sicherheiten. Der Trend bei der Sortenwahl geht deshalb zu früheren Sorten. Gleichzeitig müssen die Kirschen aber auch immer grösser und festfleischiger werden. All diese Ansprüche vereinen nur wenige Sorten. Bis die leuchtenden Früchte in den Kartongebinden im Regal stehen, braucht es viel Arbeit und Herzblut. Mit den Kirschen kommt der Sommer, nur schon deswegen haben sie Wertschätzung verdient.

Hast du gewusst, dass...?

...wir im Durchschnitt jährlich1kg Kirschen pro Kopf essen in der Schweiz.

...in etwa 50% der Kirschen aus der Schweiz kommen.

...Grossfruchtige Tafelkirschen neigen zum Platzen und müssen unter einem Witterungsschutz angebaut werden.

...die Kirschessigfliege die grösste Herausforderung ist für den Kirschanbau. Ein Netz um die Bäume oder frühe Sorten sind geeignete Gegenmassnahmen.

...die Bäume aufgrund des veränderten Klimas rund 3 Wochen früher blühen und daher auch anfälliger gegen Frosteinbrüche sind.

...Tafelkirschen hauptsächlich aus Niederstammanlagen kommen.